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Wieso hat Europa so wenige Wolkenkratzer?

05.09.2019 | 6 min Lesedauer | Written by Simon

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Obwohl Europa einer der am weitest entwickelten, dicht besiedelten und wirtschaftlich erfolgreichsten Kontinente ist, sehen wir überraschend wenige Wolkenkratzer. Insbesondere im Vergleich zu Asien und Nordamerika. Wie können Großstädte dem nachweisbar steigenden Bedarf an innerstädtischen Büro- und Wohnflächen entgegnen und dabei auf die platzsparenden Vorteile von Wolkenkratzern verzichten?

Frankfurt ist eine der wenigen Städte in Europa mit einer vergleichbar modernen Skyline. Doch von den rund 200 Wolkenkratzern, die bisher auf dem Kontinent gebaut wurden, befinden sich 66% in nur sechs Städten – London, Paris, Frankfurt, Moskau, Warschau und Istanbul. Warum haben andere europäische Großstädte noch keine Skyline aus Wolkenkratzern? Wie lange werden Städte diesen Umstand bei zunehmender Urbanisierung noch rechtfertigen können?

Frankfurter Skyline bei Tag

Der Grund liegt in der Geschichte Europas

Als Wolkenkratzer bezeichnet man besonders hohe Hochhäuser, üblicherweise ab einer Höhe von 150m. Als in den USA Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Bau immer höherer Gebäude begonnen wurde, war die Unterteilung in Zonen für den Großteil der europäischen Städte bereits fest etabliert. Als die ersten Wolkenkratzer in Chicago und New York errichtet wurden, waren Europas Großstädte bereits mit zahlreichen historischen Bauten und öffentlichen Räumen dicht besiedelt. Genug Raum für die Errichtung neuer großer Strukturen gab es daher kaum.

Obwohl die Europäer mitverfolgen konnten, welche Vorteile Wolkenkratzer, besonders in den dicht besiedelten Stadtgebieten Amerikas, mit sich brachten, stand man aufgrund der steigenden kulturellen Rivalität, diesem Konzept ablehnend gegenüber. Das galt natürlich auch umgekehrt. Infolgedessen waren beide Kontinente misstrauisch, die Konzepte des anderen zu übernehmen. Man wollte schließlich die eigenen Traditionen und Lebensweisen fördern. Während Nordamerika das Vorbild für ein neues Zeitalter sein wollte, versuchte Europa, sein geschichtliches Erbe zu bewahren.

Dies erklärt zwar, warum sich der Wolkenkratzerbau in Europa zunächst nicht durchgesetzt hat, aber nicht, was den Kontinent seitdem zurückgehalten hat.

Die Nachkriegszeit und der Wiederaufbau

Im Zweiten Weltkrieg verloren die Städte Westeuropas viele Wahrzeichen und historische Bauten. Obwohl viele darin die Chance sahen, ihre zerstörten Städte mit Wolkenkratzern zu modernisieren war der Wunsch stärker, das Zerstörte wiederherzustellen.

Darüber hinaus führte die geringere Bevölkerungszahl in Europa zu dem damaligen Zeitpunkt dazu, dass die Nachfrage nach Wohnfläche, in unzureichendem Maße bestand. Infolgedessen wurde ein pragmatischere Herangehensweise an den Tag gelegt und nicht instandsetzbare Gebäude wurden durch schlichte und zweckmäßige Baustrukturen ersetzt. In Osteuropa bestanden die Wiederaufbaumaßnahmen der expandierenden Sowjetunion größtenteils aus mittelgroßen, sich wiederholenden Strukturen. Das Ziel war den Großteil der Bevölkerung auf sinnvollste Weise wieder unterzubringen.

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Nichtsdestotrotz sahen in dieser Zeit tatsächlich die ersten großen Hochhäuser, wie das Torre piacentini (Italien) oder die Lomonossow-Universität (Moskau), in Europa das Licht der Welt. Weniger als Folge des steigenden wirtschaftlichen Wachstums und des Wohlstands, sondern vielmehr aus Bestreben der Sowjets ihre Macht und Einfluss auszudrücken. Von einer Skyline wie wir Sie heute aus Manhattan oder Tokio kennen, sind die meisten europäischen Städte noch weit entfernt. Doch wie es zum Begriff Wolkenkratzer keine universelle Definition gibt, so ist auch der Begriff Skyline nicht eindeutig definiert. Generell gilt jedoch, je geringer die Gebäudelücken, desto ansehnlicher.

Brüsselisierung – Stadtplanung mit der Abrissbirne

In der Zeit des Wiederaufbaus setzte Brüssel in seiner Stadtplanung oftmals mehr auf die Abrissbirne als auf die Wiederrestaurierung. Ganz nach dem Motto: „Altes weg. Neues her“. Insofern wird der Begriff „Brüsselisierung“ international verwendet, um die Zerstörung einer Stadt in Friedenszeiten zu bezeichnen. So geschah es, dass in den 1960ern zahlreiche große kastenartige Gebäude das historische Stadtbild von Brüssel anfingen zu prägen.

Europa Gebäude in Brüssel

Schuld daran waren vor allem die damaligen Vorschriften über die Zoneneinteilung. Um Platz für große, moderne Gebäude zu schaffen wurde der architektonische oder kulturelle Wert von Bestandsgebäuden wenig berücksichtigt. Viele prominente Persönlichkeiten und Architekten erkannten die Tragweite des Schadens für die Stadtentwicklung, und konnten diesen wahllos angesetzten Sanierungsbemühungen einen Riegel vorschieben, indem Sie sich für die Einführung neuer Planungsregeln einsetzten.

Die daraus resultierenden neuen Vorschriften beschränkten den Umfang neuer Gebäude erheblich und erforderten die Wiederherstellung historischer Fassaden und die Einbeziehung in neue Entwicklungen, um das kulturelle Gefüge der Stadt zu bewahren. Der Streit in Brüssel führte zu einer allgemeinen Abneigung gegen die Ausbreitung moderner Gebäude in ganz Europa, die von vielen als langweilig und seelenlos empfunden wurden. Als Reaktion darauf erließen zahlreiche Städte ähnliche Vorschriften. Auch ursprüngliche Pläne für die Modernisierung des La Defense Hochhausviertels in Paris mussten damals beiseite gelegt werden, um die Hochhausentwicklung vom historischen Zentrum fernzuhalten.

Das urbane Zeitalter hat längst begonnen

Als sich die architektonischen Trends von kastenartigen Strukturen zu außergewöhnlicheren Designs verlagerten und sich die Welt zunehmend globalisierte, begann Anfang des 21. Jahrhunderts die ursprüngliche Haltung gegenüber Hochhäusern bzw. Wolkenkratzern auf dem gesamten Kontinent abzuklingen. Ein Hauptgrund war unter anderem der nicht mehr ignorierbare Anstieg der Nachfrage nach innerstädtischen Gewerbe- und Wohnflächen. So entstanden Anfang der 2000er Jahre in den wichtigsten Finanzzentren wie London, Paris, Moskau, Istanbul und Frankfurt mehrere Wolkenkratzer.

Mit 60% der Weltbevölkerung, die bis 2030 in städtischen Gebieten leben wird, gewinnen Wolkenkratzer in Wohngebieten zunehmend an Bedeutung. Das bezeugt das in Bau befindliche Projekt FOUR in Frankfurt am Main. Hier sollen bis 2023 vier einzigartige Hochhäuser die beeindruckende Skyline erweitern und neben Büro-, Hotel- und Gastronomieflächen auch 600 Wohnungen anbieten.

Auch in London wird mit dem Bau des Spire Wolkenkratzers (861 Suiten, Apartments und Penthouses) versucht, die erhöhte Nachfrage an innerstädtischen Wohnflächen abzufangen.

Eine große Baustelle mit vielen Kränen auf einem Fluss, an einem sonnigen Tag - Berlin 2018

Europa am Zug

Da viele traditionelle ländliche Industrien automatisiert werden, wandern Millionen in Städte und Großstädte ab und treiben die Nachfrage nach Wohnraum voran, der häufig nur noch mit der Errichtung von Hochhausstrukturen bedient werden kann. In Europa befinden sich zurzeit 22 Wolkenkratzer in Planung.

Die Auswirkungen des ungebremsten Urbanisierungsgrades und der daraus resultierende Platzmangel, zwingt Stadtbewohner von Jahr zu Jahr kreativ zu werden. Aus dieser Not entstanden unter anderem die sogenannte Sharing-Economy, das Co-Living, etc. Doch auch diese Entwicklungen können den steigenden Platzbedarf nur bis zu einem gewissen Maße abfangen. Das Wolkenkratzer die offensichtliche Lösung für eine rasche Entlastung in Städten sind, wird auch den Regierungen bekannt sein und früher oder später dazu führen, dass vermehrt Wolkenkratzer ihren Weg in viele europäische Städte finden werden.

Europa ist vor diesem Phänomen nicht gefeit – insbesondere in einer so stark globalisierten Welt und mit dem Wunsch des Kontinents, mit dem Fortschritt und dem Wirtschaftswachstum Chinas und der USA Schritt zu halten.

Als solches könnte Europa in den kommenden Jahrzehnten einen Hochhausboom erleben.

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