Die Zukunft der Bauleitung
Wie digitale Lösungen das Bauleitungswesen 2023 und darüber hinaus verändern werden
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Erdbeben sind eine der verheerendsten Kräfte unserer Erde. Sie zerstören nicht nur Gebäude, sondern fordern auch Menschenleben und verursachen Sachschäden in enormer Höhe. Nach Angaben des BGR finden weltweit im Durchschnitt 1.500 Erdbeben/Jahr, mit einer Stärke über der Magnitude 5, statt. Wer glaubt, ein Erdbeben würde in unseren Regionen relativ selten auftreten, der irrt. Denn nicht nur geologische Prozesse verursachen Erdbeben. Dank wissenschaftlicher Fortschritte konnten Ingenieure in den letzten Jahrzehnten neue Konstruktionsweisen, wie den „seismischen Unsichtbarkeitsmantel“ und Baumaterialien, wie Formgedächtnislegierungen, entwickeln, um die Standhaftigkeit von Gebäuden gegen Erdbeben zu verbessern.
Warum auch Gebäude in nicht-erdbebengefährdeten Gebieten vor Erschütterungen zu schützen sind
Obwohl Deutschland mitten auf einer tektonischen Platte liegt, ist es weit davon entfernt als erdbebengefährdete Region zu gelten. Die meisten Erdbeben ereignen sich nämlich an den Plattengrenzen. Doch auch in Deutschland bebt es. Zwar schwach, aber häufig. Eine geografisch günstige Lage allein schützt nicht vor Erschütterungen. Erdbeben werde nicht ausschließlich durch die Bewegung tektonischer Platten verursacht, sondern können auch durch Menschenhand entstehen. Denken Sie beispielsweise an Regionen, in denen im großen Stil Bergbau betrieben wurde. Werden die, dabei in den Berg getriebenen, Stollen irgendwann nicht mehr wirtschaftlich rentabel, so entfernt man üblicherweise sämtliche Tragstützen und überlässt den unterirdischen Hohlraum sich selbst. Bei einem plötzlichen Einsturz können seismische Wellen in Erdbebenstärke die Folge sein. Zu solch einem Vorfall kam es auch 2008 im Saarland. Das dabei ausgelöste Beben hatte glücklicherweise keine Menschenleben gefordert, aber beträchtliche Sachschäden verursacht.
Die Forschungen zur Erdbebensicherheit schreiten voran
Bei einem Erdbeben sterben die meisten Menschen durch einstürzende Bauwerke und nicht durch die seismischen Wellen selbst. Daher finden jegliche Bemühungen zur Standsicherheit von Gebäuden weiterhin statt und werden auch in Zukunft unerlässlich sein:
· Innovationen im Baustoffbereich
Wissenschaftler und Ingenieure entwickeln neue Baustoffe mit noch größerer Formbeständigkeit. Innovationen wie Formgedächtnislegierungen können sowohl starken Belastungen standhalten als auch in ihre ursprüngliche Form zurückkehren, während faserverstärkte Kunststofffolien – hergestellt aus einer Vielzahl von Polymeren – um Säulen gewickelt werden können und eine um bis zu 38% höhere Festigkeit und Duktilität bieten.
Ingenieure wenden sich auch natürlichen Elementen zu. Die klebrigen, aber starren Muschelfasern oder die von Stärke zu Größe verhältnismäßig starke Spinnenseide, sind vielversprechend in der Entwicklung neuer Materialien. Bambus- und 3D-Druckmaterialien können auch als leichte, ineinander greifende Strukturen mit unbegrenzten Formen fungieren, welche Gebäuden potenziell einen noch größeren Widerstand bieten können.
· Neue Bauweisen im Test
Anstatt Kräften entgegenzuwirken, experimentieren Forscher der Universität Marseille mit der Möglichkeit seismische Erdbebenwellen komplett vom Gebäude abzuschirmen oder umzuleiten. Dieser Denkansatz gehört zu den neueren und hat noch nicht den Weg in die Praxis gefunden. In diesem Fall soll eine Art „unsichtbarer Schutzring“, welcher das Gebäude umkreist, bestehend aus 100 konzentrisch angeordneten Kunststoff- und Betonringen 1m unter der Erde vergraben, dafür sorgen die Erdbebenwellen vom Gebäude abzuschirmen. Die auf die Ringe eindringenden seismischen Wellen, werden dabei gezwungen, sich vom Gebäude weg und hin zu den äußeren Ringen zu bewegen, um dort abzuklingen.
Wie macht man ein Gebäude erdbebensicher?
Um ein erdbebensicheres Gebäude zu errichten, konstruieren Ingenieure Strukturen, die den horizontal wirkenden Kräften eines Erdbebens standhalten können. Da Erdbeben große Mengen an Energie freisetzen, und Gebäude ruckartig aus einer Richtung belasten, muss eine erdbebensichere Struktur sich auch in die entgegengesetzte Richtung bewegen können. Im Folgenden sind bewährte Methoden angeführt, mit denen Gebäude Erdbeben standhalten können.
1. Fundament auf Mehrschicht-Auflagern
Eine Möglichkeit, den seismischen Horizontalkräften im Boden entgegenzuwirken, besteht darin, das Fundament des Gebäudes einerseits über dem Oberflächenniveau anzusiedeln und andererseits mithilfe elastischer Gummisockel, bestehend aus Schichten aus Stahl, Gummi und Blei, vom Untergrund zu trennen. Wenn der Untergrund sich während des Erdbebens bewegt, vibrieren die erdbebensicheren Auflager mit und fangen die einwirkende Bewegungsenergie ab. Dies hilft effektiv, seismische Wellen zu absorbieren und verhindert, dass diese sich durch die Gebäudestruktur fortbewegen.
2. Stoßdämpfer für das Gebäude
Den Begriff Stoßdämpfer kennen die meisten vermutlich im Zusammenhang mit ihrem Auto. Wenige Leute wissen, dass Ingenieure sie auch bei der Realisierung erdbebensicherer Gebäude einsetzen. Ähnlich wie beim Einsatz in Autos, verringern Stoßdämpfer die Stärke der Stoßwellen und tragen zur Verlangsamung dieser bei. Dies geschieht auf zwei Arten: Schwingungsdämpfer und Schwingungstilger.
Schwingungsdämpfer
Bei dieser Methode werden auf jeder Ebene eines Gebäudes seismische Dämpfer zwischen einer Säule und einem Balken platziert. Jeder Dämpfer besteht aus Kolbenköpfen in einem mit Silikonöl gefüllten Zylinder. Bei einem Erdbeben überträgt das Gebäude die Schwingungsenergie in die Kolben, welche gegen das Öl drücken. Die Energie wird in Wärme umgewandelt und die Kraft der Schwingungen abgeleitet. Dass sich diese Methode auch in der Praxis bewährt, zeigt der Torre Mayor in Mexico City, in welchem unter anderem 98 dieser Schwingungsdämpfer eingebaut wurden. Das brisante daran ist, dass der Wolkenkratzer praktisch auf Sand gebaut wurde.
Schwingungspendel
Eine andere Methode Erdbebenkräfte zu dämpfen, ist die Installation eines riesigen Pendelapparates. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist der Taipeh 101 Wohlkratzer. Dabei hängt im obersten Stock des Wolkenkratzers eine 660 Tonnen schwere Stahlkugel auf Stahlseilen und einem Hydrauliksystem. Wenn das Gebäude anfängt zu schwanken, schwingt auch die Kugel, aufgrund der Trägheit seiner Masse mit und wirkt in die entgegengesetzte Richtung der einwirkenden Kräfte, und hilft die Gesamtstruktur zu stabilisieren. Das Gebäude steht heute noch und konnte bereits etlichen Erdbeben und Taifuns standhalten.
3. Verstärkung der Gebäudestruktur
Während Stoßdämpfer und Schwingungstilger dazu beitragen können, die Energie in gewissem Maße zu zerstreuen, sind die in einem Gebäude verwendeten Materialien gleichermaßen für dessen Stabilität verantwortlich. Wenn Gebäuden ein seismisches Ereignis widerfährt, verteilen sich sämtliche Kräfte auf dessen Struktur und können bis zu einem gewissen Maße einen Einsturz verhindern. Seit jeher werden zur zusätzlichen Verstärkung gegen horizontale Krafteinwirkungen in den meisten Bauten Scherwände, Querstreben, Membranen und momenttragfähige Rahmen eingesetzt. Sie sind für die Verstärkung eines Gebäudes von zentraler Bedeutung.
Auch mit der Entwicklung des Stahlbetons konnten Gebäude standsicherer gebaut werden. Damit ein Baustoff Beanspruchungen und Vibrationen standhält, muss er eine hohe Duktilität aufweisen – die Fähigkeit, großen Verformungen und Spannungen zu widerstehen. Der Einsatz von Stahl in Form von Bewehrungen trug dazu bei, dass sich Gebäude besser „biegen“ können, ohne zu brechen. Auch Holz ist aufgrund seiner hohen Festigkeit im Vergleich zu seiner leichten Struktur ein überraschend duktiler Werkstoff.
Fazit
Niemand kann vorhersagen, wann und wo ein starkes Erdbeben auftreten wird. Die einzige Möglichkeit sich vor ihnen zu schützen, ist ausreichend Vorsorge zu treffen. So fortschrittlich die Technologien und Materialien heute auch sein mögen, ist es für Gebäude noch nicht möglich, einem starken Erdbeben unversehrt standzuhalten. Wenn jedoch ein Gebäude erdbebensicher genug ist und seinen Bewohnern rechtzeitig die Flucht vor dem Einsturz ermöglichen kann, können wir dies als großen Erfolg ansehen.